Mitgründer der hds, Prof. Fritz Vilmar gestorben! Klaus-Jürgen Scherer von der hds sprach auf der Trauerfeier


Berlin, zum 7.Dezember 2015 / Trauerfeier Fritz Vilmar
Wir gedenken unserem Fritz, der so viel mehr war als unser erster wichtigster Hochschullehrer, kein abgehoben-arroganter Professor Dr. Vilmar, sondern mit Leib und Seele, mit Verstand und Herz, mit Engagement und kreativer Ungeduld jahrelang unser Vorbild, unser Ratgeber, unser Mentor, unser Lehrmeister, ja ein bisschen sogar unser Guru – und vor allem aber bis zuletzt eine Art väterli-cher Freund.
Fritz war endlich jemand, der uns als Anfang 20jährige ernst nahm, der ein partnerschaftliches Lehrer-Schüler-Verhältnis pflegte, der in der Symbiose mit uns auflebte, bei dem Lehre und Forschung zusammengingen: Es gab nicht hie-rarchische Projektgruppen, wir wuchsen durch das gemeinsame Argumentie-ren, er gab uns und unseren Texten frühe Bedeutung, er behandelte uns gar als Nachwuchswissenschaftler, dafür ließen wir uns gerne in seine Projekte ein-spannen – er selbst genoss dabei sichtlich die freiere Luft unter uns jungen Menschen.
Unsere Festschrift zu seinem 65. Geburtstag nannten wir „Mut zur Utopie“. Da-rin sahen wir Fritz‘ Lebensmotto, so wie es im gleichnamigen Buch von Georg Picht hieß: „Alles, was wir wünschen, hoffen, planen, vollbringen und denken, ist auf Zukunft bezogen und wird in Zukunft seine Wirkung haben. Leben voll-zieht sich als Vorwegnahme von Zukunft“. Das gesamte Lebenswerk von Fritz war von diesem Grundsatz geprägt – von „Futurologie“ hatte sein Lehrstuhlvor-gänger Ossip K. Flechtheim gesprochen: nicht den Status Quo festzuschreiben, sondern immer nach Wegen zu suchen, um diesen zu überwinden, und um sich einzusetzen für die als besser erkannte Zukunft.
Dieser Weg, den es zu suchen galt, war der „Dritte Weg“ eines undogmatischen Demokratischen Sozialismus. Streitbar hielt Fritz jenseits kleinlicher Parteipolitik die Fahnen von Demokratisierung, Ökologisierung, Humanisierung des Lebens und Arbeitens, sozialer Selbsthilfe, Geschlechtergleichheit und Friedensbewe-gung hoch.
Damit geht Fritz ein in die Geschichte alternativer sozialistischer Vordenker. Er arbeitete programmatisch und verband Reformtheorie mit unzähligen Mut ma-chenden Praxisbeispielen. Unermüdlich entwickelte er Bausteine eines gemein-schaftlich-genossenschaftlichen Sozialismuskonzeptes – jenseits der Anpassung an kapitalistische Logik und jenseits realsozialistischer Verstaatlichung.
Bei Fritz ging immer alles zusammen, das war fast eine Vorwegnahme der be-rühmten Utopie des nicht entfremdeten Lebens aus den Marx’schen Früh-schriften. Wir schrieben am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin unser Ökosozialis-musprojekt nicht nur, wir diskutierten es tagelang auf Blockseminaren und auf langen Spaziergängen, bei gutem Essen und Trinken, auch Erotisches kam nicht zu kurz; wir waren auch unser eigener Verlag, die erste Auflage des Buches, immerhin 500 Exemplare, setzten, druckten, banden und vertrieben wir selbst, welch ein Gemeinschaftserlebnis!
Kopf- und Handarbeit, Wissenschaft und Organisieren, Universität und Öffent-lichkeit, die große globale Alternative und die kleinschrittige Lebensreform, Denkanstrengung und die Lust am Leben: das alles waren für Fritz nie Gegen-sätze (Arbeitszeitverkürzung war nicht von ungefähr eines seiner Themen). Auf dieser beispielhaften Ganzheitlichkeit von Guter Arbeit und Gutem Leben be-ruhte sein Charisma – auch deshalb werden wir ihn als so menschlich in Erinne-rung behalten.
Fritz wollte nie im akademischen Elfenbeinturm enden, er hat kritische Politik-wissenschaft immer weltverändernd verstanden, es kam ihm auf ein enges Theorie-Praxis-Verhältnis an. Genauso wichtig wie wissenschaftliche Arbeit wa-ren ihm Bildungsauftrag und politische Aktion, Selbstveränderung, mediale Ini-tiativen, alltägliche Vereinsarbeit, genossenschaftliches Engagement.
Ich will nur an die von ihm gegründete Hochschulinitiative Demokratischer Sozi-alismus erinnern, in Mutlangen an die Prominentenblockade der Friedensbe-wegung, in unserer Bezugsgruppe auch mit Heinrich Böll und Erhard Eppler (bei der Fritz übrigens Brigitte, die Mutter des späten Sohnes Florian, kennenlernte), an sein Engagement im Arbeitskreis atomwaffenfreies Europa, an die auch vom Kibbuz inspirierte Kommune ÖkoLeA bei Strausberg und schließlich an seine Kritik, hier Günter Grass nicht unähnlich, an einem Einigungsprozess, der demü-tigend alle westdeutschen Verhältnisse auf die DDR übertrug und dem Markt-radikalismus neue Nahrung gab.
Heute wird es deutlicher denn je: Fritz lag mit seinen Themen, bei aller Kritik im Detail, im Prinzip richtig! „Nichts ist erledigt“, dieser Spruch von Klaus Staeck gilt über Fritz‘ Tod hinaus:
Demokratie ist heute etwa durch die Digitalisierung gefährdeter denn je / vom Frieden kann angesichts weltweiter Konfrontationen, von Bürgerkriegen und Terror kaum noch die Rede sein / Gleichheit nimmt global weiter ab; Flucht, heraus aus dem Elend, sind gerade eine Folge hiervon / die ökologische Kata-strophe und der Klimawandel schreiten voran / die totale Marktgesellschaft, der egoistisch-konsumistische Lebensstil braucht mehr denn je Alternativen usw. usf.
– Kurzum: Hier überall war Fritz ein früher Warner dessen, womit wir uns im 21. Jahrhundert herumzuschlagen haben!
Besser als aufzugeben, ist es sich mit aller Kraft zu engagieren, auch wenn man damit manchmal übertreibt, aneckt und andere nervt: Auch das ist Fritz‘ Ver-mächtnis!
Fritz hat uns eben vorgemacht, dass wir, beruflicher Alltag hin oder her, das große Ganze nicht einfach hinnehmen sollten, dass wir Gesellschaftskritik üben und über ein neues Fortschrittsmodell, gar über Systemwandel weiter nach-denken sollten. Und dass wir an uns selbst und an unseren Lebensgemeinschaf-ten arbeiten sollten, um ein bisschen des Notwendigen vorzuleben, auch um der Glaubwürdigkeit willen.
Fritz wird in unserer Erinnerung bleiben, gerade durch – was ihm so wichtig war – seine inhaltliche Präsenz: Bei mir zu Hause ist dies, was er schrieb, anregte und oft mit anderen publizierte, immerhin ziemlich exakt ein halber Meter mei-nes Bücherregals.
Fritz Du fehlst uns. Wir sind voller Trauer.
Dr. Klaus-Jürgen Scherer